Zurück zur Zukunft

8. Dezember 2016

Jacqueline Badran zum Wirtschaftspapier der SP Schweiz.

Wenn das versammelte globale Finanzkapital mit abstrusen Finanzprodukten auf steigende US-Immobilienpreise wettet, verliert und damit ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reisst, wenn 62 Personen gleich viel Vermögen besitzen wie die halbe Weltbevölkerung, wenn Hedgefonds mit Spekulationen auf einen Schlag 100 Millionen Menschen mehr in die Armut treiben, wenn die Chinesen halb Afrika und den Immobilienbestand ganzer Städte aufkaufen, ja dann ist es Zeit, innezuhalten und nachzudenken. Es ist nicht nur erlaubt, sondern unsere Pflicht, die Frage nach der Tauglichkeit unserer Wirtschaftsordnung zu stellen. Brauchen wir ein besseres System oder reicht es, die Kollateralschäden zu mildern? Das ist der Kern der Auseinandersetzung in der SP.

Wer glaubt, die «Überwindung des Kapitalismus» sei kompletter Unsinn und ein Rückgriff in eine gescheiterte Planwirtschaft, wer glaubt «die soziale Markwirtschaft» sei alternativlos, leidet an einer Begriffs- und Tatsachenverwirrung. Denn Kapitalismus und Marktwirtschaft haben nichts miteinander zu tun. Auch wenn sie ständig synonym verwendet werden.

Kapitalismus bezeichnet die Eigentumsverhältnisse: Privat oder Kollektiv wie im Kommunismus. Marktwirtschaft ist die Koordination von Angebots- und Nachfragemengen über den Preis im Gegensatz zur Planwirtschaft, wo die Mengen geplant und die Preise entsprechend den Kosten festgelegt werden. Die Vorstellung, wir würden in einer kapitalistischen Marktwirtschaft leben, ist eine konstruierte Fiktion. Besonders in der Schweiz.

Unsere Wirtschaftsordnung besteht aus mannigfachen Mischformen. So ist die Produktion von Medikamenten privatwirtschaftlich, die Preise werden aber – auf Wunsch der Pharmaindustrie – administrativ festgelegt. Die Zürcher Kantonalbank hingegen produziert unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist aber zu 100 Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand und liefert jährlich Gewinne in Höhe von 500 Millionen in die Kantons- und Gemeindekassen.

Unser Ordnungs-System hat System: Wir sind entlang den Güterklassen organisiert. Sämtliche Güter und Dienstleistungen, die in modernen Zivilisationen essenziell sind und deshalb zwangskonsumiert werden müssen, sind im Volksvermögen und werden von der Gemeinschaft kostendeckend bereitgestellt. Namentlich die Grundgüter: Wasser, Strom, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Verkehr, Telekommunikations- und Postdienstleistungen. Auch die mehrheitlich in privatemBesitz befindlichen Immobilien unterliegen gesetzlich dem Gebot des Kostendeckungsprinzips.

Zudem werden die leistungsfreien Gewinne auf Boden via Grundsteuern teilweise an die Gemeinschaft zurückgegeben. Die Philosophie dahinter: Niemand darf auf Grundgütern, die alle notwendigerweise brauchen, Gewinne erwirtschaften. Die ökonomische Logik ist, dass einerseits marktwirtschaftliche Konkurrenzmodelle gar nicht möglich sind, wie beispielsweise bei den Infrastrukturen Bahn oder Stromnetzen, und andererseits diese Güter jegliche Nachfrage decken müssen, wie bei Spitalleistungen, Strom, Wasser, Bildung. Die Menge an Schulhäusern und Schulklassen ist nicht abhängig von der Zahlungsfähigkeit der Familien, sondern von der Anzahl Kinder. Rund 80 Prozent unseres Haushaltsbudgets geben wir demnach aus für Güter und Dienstleistungen, die nicht dem kapitalistischen Gewinnmaximierungsprinzip unterliegen, zählt man die genossenschaftliche Struktur der Lebensmittelversorger Migros und Coop dazu, die sich im Eigentum ihrer Kunden befinden.

Die Schweiz ist demnach das antikapitalistischste Land überhaupt. Niemand muss auf Grundgütern einem Eigentümer Gewinne finanzieren, weil die Grundgüter im Gemeinschaftsbesitz sind. Bestandteil unserer Ordnung war auch immer eine eher hohe Besteuerung des Kapitals und eine tiefe Besteuerung von Löhnen und Konsum. Es ist dieses Erfolgsmodell, das uns zum reichsten Land der Welt gemacht hat mit dem breitesten Mittelstand der Geschichte. Und dieses wird bedroht durch die wirtschafts- und ordnungspolitisch widersinnige Privatisierungsagenda der Grundgüter und Monopolinfrastrukturen, die sich auch bei uns Ende der 90er-Jahre durchgesetzt hat mit der Zerschlagung der PTT und Teilprivatisierung der Stromwirtschaft.

Die bürgerliche Revolution hat die klassische Feudalgesellschaft mit ihrem Land besitzenden Adel überwunden. Es bildet sich aber schleichend und klammheimlich eine neue Klasse des Geldadels heran. Diese Klasse ist derart vermögend, dass sich Machtakkumulationen ähnlich dem Feudalismus ergeben. Es ist nicht mehr die Macht durch den Grundbesitz in einer bäuerlichen Gesellschaft, sondern die Macht des Kapitals in einer kapitalistischen Gesellschaft.

In Zeiten, wo das Kapital uns die Standortbedingungen diktiert und uns droht, sie würden gehen, würden wir ihnen via Steuersenkungen keine zusätzlichen Gewinne beschaffen, in Zeiten wo globalen Konzernen in Freihandelsverträgen Klagerechte für entgangene Gewinne eingeräumt werden, wenn man ein Gesetz ändert, in Zeiten wo selbst Wasser vor der Logik der Kapitalverwertung und Gewinnmaximierung nicht halt macht, sollten wir zurück zur Zukunft und uns des Erfolgsmodells Schweiz wieder besinnen, das den Kapitalismus schon immer überwunden hatte. Und genau das tut die SP.

 

Gastbeitrag veröffentlicht in der Aargauer Zeitung am 3. Dezember 2016