Das Prinzip der Gewinnmaximierung überwuchert immer mehr Bereiche unseres Lebens. Ein Ausweg kann die Demokratisierung der Besitz- und Entscheidungsstrukturen in der Wirtschaft sein. Wirtschaftsdemokratie war denn auch ein Leitthema bei «Reclaim Democracy».
Tiefe Risse bedrohen die Stabilität unserer Gesellschaft: Konzentration des Reichtums, Dominanz mächtiger Industrie und Handelskonzerne über die Politik, Diktat der Finanz- über die Realwirtschaft. Auch syndicom ist als Gewerkschaft in Branchen tätig, die gegenwärtig radikal umgekrempelt werden. Die Post baut Schalter und Stellen ab, die grafische Industrie muss sich neu erfinden, der Journalismus wird totgespart. Gemeinhin wird dabei von Strukturwandel gesprochen, von einer alternativlosen Anpassung an die neuen, digitalen Zeiten. Die Arbeitnehmenden, die, deren Arbeitsplätze abgebaut werden und deren berufliche Identität in Frage gestellt wird, sehen sich meist vor fertige Tatsachen gestellt. Ihnen bleibt das ohnmächtige Gefühl des Ausgeliefertseins. Wenn die Digitalisierung alternativlos ist und sich die Unternehmen daran anpassen müssen, um zu überleben – was soll man da machen?
Hier kommt Wirtschaftsdemokratie in Spiel – als praxisnaher Baukasten ebenso wie als historisch verankerte Vision, die über den Kapitalismus hinausweist. Als Vision dient Wirtschaftsdemokratie heute zunächst dazu, uns aus dem Gefängnis der Alternativlosigkeit zu befreien und den Blick auf Zusammenhänge zu öffnen, die viel zu oft verschwiegen werden.
Der Journalismus ist ihnen nicht mehr lukrativ genug
Nehmen wir die Medienbranche als Beispiel. Medienkonzerne wie Tamedia oder Ringier verabschieden sich Schritt für Schritt vom Journalismus, obwohl sie Millionengewinne ausweisen und das Top-Management und die Eigentümer abkassieren. Sie tun es nicht deshalb, weil der Journalismus im 21. Jahrhundert nicht mehr gebraucht würde. Sondern weil der kleinen Gruppe von Leuten, die die Entscheide treffen, der Journalismus einfach nicht mehr lukrativ genug ist. Journalismus als vierte Gewalt im Staat? Etwas für Nostalgiker …
Was hat das jetzt mit Wirtschaftsdemokratie zu tun? In einer demokratischen Wirtschaft entscheiden die VertreterInnen des Kapitals nicht mehr alleine. Stattdessen bestimmen die Mitarbeitenden mit – gerade auch auf Ebene des Verwaltungsrates und bei strategischen Fragen, die die Zukunft von Unternehmen betreffen. Diese Forderung ist Teil eines Positionspapiers der SP Schweiz, das im letzten Dezember verabschiedet wurde.Wirtschaftsdemokratie heisst also im Kern, Betroffene zu Mitbestimmenden zu machen und die kurzfristigen Profitmaximierungsstrategien zugunsten einiger weniger in eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Unternehmenspolitik zu transformieren.
Digitalisierung zur wirklichen Chance machen
Wirtschaftsdemokratie bedeutet nicht, sich den technologischen Innovationen zu verschliessen, zu «Maschinenstürmern» zu werden. Mehr Demokratie in der Wirtschaft ist aber eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Digitalisierung zu einer wirklichen Chance für die Menschen werden kann. Weil die direkt Betroffenen, die DruckerInnen, JournalistInnen und PöstlerInnnen, diesen Prozess von unten her mitgestalten und Digitalisierung nicht einfach von oben nach Renditekalkülen durchgedrückt wird.
Wie würde sich ein Medienunternehmen wie Tamedia wohl verhalten, wenn es nicht eine börsenkotierte Aktiengesellschaft mit den klassischen Hierarchien wäre, sondern eine Genossenschaft, in der die Mitarbeitenden zusammen mit den anderen GenossenschafterInnen (z. B. LeserInnen) die digitale Zukunft des Journalismus gemeinsam verhandeln?
Mehr Demokratie in der Wirtschaft ist per se keine Garantie für eine bessere, eine sozialere und nachhaltigere Wirtschaft. Mitbestimmungsrechte sind aber, wie unsere bekannten Rechte in der politischen Demokratie, als Hebel, als Chancen auf Veränderung zu verstehen. Ob wir die Chancen nutzen, liegt an uns.
Wirtschaftsdemokratische Ansätze im Service public
Beim Thema Wirtschaftsdemokratie geht es um mehr als Mitbestimmung. Es geht um andere Formen des Wirtschaftens, um andere Eigentumsverhältnisse, um soziales und solidarisches Unternehmertum. Mit der Demokratisierung der Wirtschaft soll die dominante Wirtschaftslogik verändert werden: für die Menschen statt für das Kapital.
Der schweizerische Service public bringt – zumindest in Ansätzen – bereits heute einiges mit, was eine zukunftsfähige Wirtschaft braucht. Die Politik hat Möglichkeiten zur Einflussnahme im Sinne des Gemeinwohls, im Verwaltungsrat sitzen VertreterInnen VertreterInnen der Mitarbeitenden. Service public steht als übergeordnete Mission anstelle von Profitmaximierung.
Und doch sind auch die Service-public-Unternehmen wie die Post, die Swisscom oder die SBB zu oft zu weit davon entfernt, Vorbilder einer demokratischen Wirtschaft zu sein. Gründe dafür gibt es einige; die ideologisch motivierten Effizienzerwartungen der bürgerlichen Politik gehören dazu.
Letztlich steht der Service public exemplarisch für die Herausforderung, mit der sich die Wirtschaftsdemokratie konfrontiert sieht. Wie schaffen wir es, dass die Potenziale einer demokratischen Wirtschaft tatsächlich zum Tragen kommen können und nicht dauernd durch die sogenannten Sachzwänge einer kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft in Frage gestellt oder gar zerstört werden?
«Reclaim democracy» in der Arbeitswelt
Am «Reclaim Democracy»-Kongress in Basel wurde deutlich, dass wir dringend Alternativen zu einem Wirtschaftssystem brauchen, das am Ursprung von steigender sozialer Ungleichheit, Klimawandel, Flüchtlingsmisere und dem weltweiten Erstarken reaktionärer Kräfte steht.
Wirtschaftsdemokratie bietet keinen Masterplan dafür, wie genau der Übergang in eine andere Wirtschaft gelingen und wie eine bessere Zukunft aussehen kann. Sie öffnet aber die Perspektive über das Bestehende hinaus und zeigt auf, wie wir, im Hier und Jetzt ansetzend, ins Handeln kommen können.
Die nötige Durchschlagskraft entwickelt die Idee einer demokratischen Wirtschaft aber nur dann, wenn sie als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Projektes für «mehr Demokratie» verstanden, von einer breiten gesellschaftlichen Bewegung geprägt, gelebt und permanent weiterentwickelt wird. Was es braucht, sind Koalitionen von Belegschaften, KonsumentInnen, Parteien, NGOs und natürlich den Gewerkschaften. Der direkte Zugang der Gewerkschaften in die Arbeitswelt, ihre Netzwerke, ihr Praxiswissen sind dabei von entscheidender Bedeutung.
Wirtschaftsdemokratie baut auf der gewerkschaftlichen Organisation auf, Gesamtarbeitsverträge sind das Fundament einer demokratischen Wirtschaft. Wirtschaftsdemokratie geht aber über dieses Fundament hinaus. Den visionären Gehalt gemeinsam zu benennen, zu konkretisieren und schrittweise umzusetzen (und dies notabene gegen massiven Widerstand!) ist eine der matchentscheidenden Aufgaben für die progressiven Kräfte in der Schweiz und weltweit.
Pascal Zwicky, Projektleiter Themenmanagement SP Schweiz
Artikel erschienen in: Syndicom-Zeitung, Nr. 2, 10. März 2017, S. 1-3.