Digitale Plattformen wie Amazon, Google oder Facebook dringen in immer weitere Bereiche unseres alltäglichen Lebens vor. Gleichzeitig ist die Idee des öffentlichen Guts der digitalen Welt weitgehend fremd. In der ersten Ausgabe des neuen Newsletters geht die AG Wirtschaftsdemokratie der Funktionsweise des digitalen Kapitalismus der Gegenwart nach und fragt nach möglichen sozialdemokratischen Alternativen und Gegenmodellen.
Digitale Plattformen wie Amazon, Google, Microsoft, Apple oder Facebook sind binnen weniger Jahre zu zentralen Akteuren der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft aufgestiegen. Onlinemarktplätze, Suchmaschinen und soziale Netzwerke sind aus dem Alltag der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken. Entsprechend nimmt die Konzentration von Marktmacht stetig zu: So dominieren allein Google und Facebook hierzulande die Onlinewerbung mit einem Marktanteil von 63 Prozent, die sozialen Medien mit 74 Prozent und die Onlinesuche mit ganzen 92 Prozent. Zusammen kommen Apple und Google bei Betriebssystemen für Smartphones gar auf 99 Prozent Marktanteil und Amazon auf 50 Prozent im gesamten Onlinehandel.
Die COVID-19 Pandemie hat die «digitale Landnahme» weiter verschärft. So gehören die Plattform-Unternehmen zu den grossen Gewinnerinnen der letzten Monate. Amazon etwa hat 2020 nicht nur rekordhohe Umsätze erzielt, der Konzern ist in der Krise zu einem allgemeinen Infrastrukturunternehmen in privater Hand avanciert: Da die Geschäfte geschlossen waren, übernahm Amazon den Versandhandel; weil die Kinos dichtgemacht hatten, versorgte Amazon seine Kund:innen mit Hollywood-Filmen und Comedy-Serien; während die Büros geschlossen sind, verkauft Amazon die Cloud-IT für die Beschäftigten im Homeoffice.
Gleichzeitig greifen die Plattform-Unternehmen über ihre Sicherheits-, Mobilitäts-, Gesundheits- und Bildungsapplikationen schon jetzt in die Kernbereiche des Service public aus und bestimmen damit zunehmend auch jene öffentlichen Infrastrukturen, die wir bisher nicht als digital wahrgenommen haben – etwa in den Bereichen Mobilität (Google Maps, Lime-Scooter, Uber), Gesundheit (Google Health, Amazon Care), Verwaltung (Google Workspace/Drive, AWS, Zoom) und Bildung (Apple/Amazon Campus).
Die digitalen Konzerne kontrollieren dabei nicht nur «weiche» digitale Infrastrukturen wie Betriebssysteme oder Plattformen (also Suchmaschinen, Soziale Medien, Onlinemarktplätze und App-Stores), sondern immer mehr auch «harte» wie Rechenzentren, Telekommunikations-Zentren, Unterseekabel oder Logistiknetzwerke (etwa Amazon Prime Air, Amazon Logistics). Mehr als die Hälfte der weltweiten Kapazität der Unterseekabel (für die Cloud) und Rechenzentren befindet in der Hand von vier Unternehmen (Facebook, Amazon, Google, Microsoft), die bekanntlich zugleich auch Content-Provider sind. Mit ihren jüngsten Anstrengungen, eigene digitale Währungen (Facebook Libra) zu schaffen, streben die digitalen Konzerne darüber hinaus auch nach monetärer Souveränität. Kurz: Sie betreiben die konsequente Fortführung einer Konzernstrategie, die es darauf anlegt, sämtliche Sozialverhältnisse in ihr digitales Ökosystem einzubetten und zu kontrollieren.
Die Entstehung neuer unternehmerischer Machtformen, die auf die Aneignung von öffentlichen Infrastrukturen und auf die Ausweitung privater Kontrollmechanismen zielen, erweist sich für die Sozialdemokratie als eine der zentralen politischen Herausforderungen der Gegenwart: Wie lässt sich der digitale Kapitalismus einhegen und die öffentliche Kontrolle von Infrastrukturen sicherstellen? Lässt sich der digitale Kapitalismus gar in den Dienst einer ökologischen, solidarischen und demokratischen Gesellschaft stellen? Welche Aufgabe kommt hierbei dem Staat zu? Und welches Potential steckt in zivilgesellschaftlichen Initiativen und alternativen sozialen Organisationsformen?
Das Neue am digitalen Kapitalismus besteht nicht nur in neuen Technologien wie dem Internet, Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon, den Sprachassistenten Siri oder Alexa oder der digitalen Vernetzung von Alltagsgegenständen. Mit dem digitalen Kapitalismus ändern sich vielmehr auch die Koordinaten kapitalistischer Ökonomie. So hat sich in den vergangenen 20 Jahren ein spezifischer Wirtschaftsraum entwickelt, der zum einen eigenen Regeln folgt und zum anderen im Begriff ist, sich immer neue Bereiche der Ökonomie zu unterwerfen. Was aber ist der Kern dieser neuen Regeln, die sich im kommerziellen Internet entwickelt haben?
Wie der Soziologe Philipp Staab in seinem Buch zum digitalen Kapitalismus argumentiert, haben wir es mit einem Projekt zum Aufbau «proprietärer Märkte» zu tun. Im digitalen Kapitalismus, so Staab, gibt es keine freien, neutralen Märkte. Vielmehr gehören die Märkte selbst den privaten digitalen Plattformen. Die Vorstufe solcher Märkte in Privatbesitz sind die Plattformunternehmen des kommerziellen Internets, die sich vielerorts als Handelsmonopole für bestimmte Dienstleistungen etabliert haben, etwa bei Taxifahrten, Musik- und Videostreaming oder Essenslieferungen. Diese Privatmarkte sind eingelassen in die sozio-technischen Ökosysteme einer kleinen Zahl von grossen Konzernen. Über die Bindung unserer Aufmerksamkeit kontrollieren diese Konzerne in zunehmendem Masse, was wir Überhaupt wahrnehmen. Diese Machtposition gleicht einer Goldgrube, weil auf immer kompetitiveren Verbrauchermarkten nur diejenigen etwas verkaufen können, die Wahrnehmung für ihre Produkte erzeugen. In dieser Lesart speisen sich die Profite der marktgleichen Leitunternehmen aus unterschiedlichen Gebühren, die sie für ihre Vermittler- oder besser gesagt Marktfunktion erheben.
Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets, so die These Staabs, agieren nicht wirklich auf Märkten, sie sind vielmehr selbst zu solchen geworden. Durch die stetige Expansion des eigenen Produkt- und Dienstleistungsportfolios und die Kontrolle der Distributionskanäle für die Produkte einer stetig steigenden Zahl externer Anbieter erweitern diese Privatmarkte permanent ihr Angebot. Auf der Nachfrageseite des Marktes, also bei den Konsument:innen, setzen sie dagegen auf unterschiedliche Lock-in Strategien: Zum einen werden die eigenen Systeme fortlaufend auf maximalen Komfort hin optimiert, um das Bedürfnis, in ein anderes System zu wechseln, zu reduzieren. Zum anderen macht man es den User:innen so schwer wie möglich, bestimmte Dienste ausserhalb des eigenen Ökosystems zu nutzen.
Im Vergleich zu klassischen Produzentenmonopolen, denen man in der Wirtschaftstheorie vor allem eine verbraucherschädliche Preiskontrolle unterstellt, materialisiert sich die Macht des Marktbesitzes in vier unterscheidbaren Formen der Kontrolle: Informationskontrolle durch Überwachung, Kontrolle von Zugängen, von Preisen und von Leistungen.
Auf Seite der Produzierenden können sich Plattformunternehmen entscheiden, welcher Konkurrenz sie die Tür öffnen bzw. verschliessen wollen – auf der Konsument:innenseite können sie kontrollieren, wer welche Angebote zu welchen Preisen zu sehen bekommt (Zugangskontrolle). Dies eröffnet nicht nur ein eigenes Geschäftsfeld, die algorithmische Preissetzung, sondern es ermöglicht den Plattformen zugleich eine lukrative Strategie der Preiskontrolle, die − anders als in der Monopoltheorie erwartet − bisher vornehmlich zu Gunsten, nicht zu Lasten der Konsument:innen eingesetzt wird: Durch ihre Macht über die Angebotsseite wird es den Marktbesitzern nämlich möglich, die Konkurrenzzwischen den Marktteilnehmer:innen im Dienste der eigenen Profite zu optimieren. Gewinner:innen im digitalen Kapitalismus sind also nicht nur die digitalen Plattformen, sondern zum Teil auch die Konsument:innen, was den gemeinsamen Kampf gegen die Unternehmen aus linker Sicht enorm erschwert. Verlierer:innen sind hingegen all jene, die die digitalen Güter und Dienstleistungen produzieren: Gig Worker, Programmierer:innen, Crowdworker:innen, Lagerlogistiker:innen, Lieferbedienstete etc.
Das Profitmodell proprietärer Märkte ist die Besteuerung des Handels. Daher ist die Quantität des Warenumschlags wichtiger als die Höhe der jeweiligen Handelspreise. Die Plattformbetreiber können ausserdem – und sie tun dies tatsächlich – die von ihnen kontrollierten Marktinformationen und Zugänge nutzen, um eigene Angebote zu lancieren und systematisch zu bevorzugen. Schliesslich macht die Bündelung von Kontrollmacht eine vierte Strategie möglich: Leistungskontrolle, also die Fähigkeit der Marktbesitzer, den Produzierenden die Bedingungen der Leistungserbringung bis ins Detail zu diktieren. Ein besonders sichtbares Werkzeug sind dabei die auf Plattformen systematisch eingesetzten Kaufbewertungen, die von den Betreibern nach eigenen Kriterien gestaltet werden können, um die Qualität einer Dienstleistung zu messen und die Disziplin der Produzentenseite zu erzwingen.
Insgesamt haben wir es mit einem Geschäftsmodell zu tun, das auf das Abschöpfen von Renten durch Marktbesitz ausgerichtet ist. Der digitale Kapitalismus bricht in diesem Sinne mit jeder liberalen Spielart des Kapitalismus: Denn mit der Kontrolle und Inbesitznahme des Marktes wird dieser als neutrale Instanz des Tausches praktisch abgeschafft.
Literatur: Krämer, Hagen: Digitalisierung, Monopolbildung und wirtschaftliche Ungleichheit | Sahr, Aaron: Keystroke Kapitalismus | Seemann, Michael: Die Macht der Plattformen | Srnicek, Nick: Platform capitalism | Staab, Philipp: Digitaler Kapitalismus | Zuboff, Shoshana: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus |
Die Privatisierung des Internets, rechtliche Privilegien und die Kommerzialisierung von Information haben seit den 1990er Jahren zur Aufzucht neuer Medienkonzernen geführt. So haben Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook in den vergangenen zwanzig Jahren die zentralen Infrastrukturen unserer digitalen Gesellschaft in Besitz genommen: Sie überwachen unseren Alltag, kontrollieren die Online-Vertriebskanäle und kuratieren unsere digitale Öffentlichkeit.
Dabei gab es keine Gesetze, die dies verhindert hätten, im Gegenteil: Die im Jahr 2000 verabschiedete europäische E-Commerce-Richtlinie hat den Markt weitgehend dereguliert und die Plattformbetreiber von jeglicher Verantwortung entbunden. Auch das 2017 etwa in Deutschland beschlossene Netzwerkdurchsuchungsgesetz lässt den Plattformunternehmen bei der Löschung illegaler Inhalte weitgehend freie Hand. Regulierungsversuche auf dieser Rechtsgrundlage entpuppten sich vielfach als Papiertiger: Das erste EU-Verfahren gegen Google ist nach zehn Jahren noch immer beim Europäischen Gerichtshof anhängig. Drohende Strafzahlungen werden aus der Portokasse finanziert, während der massenhafte strukturelle Datenmissbrauch weiter unangetastet bleibt. Auch monopolistische Fusionen, wie zuletzt Googles Aufkauf des Wearables-Herstellers Fitbit, lassen sich nach wie vor nicht verhindern.
Dennoch, der Widerstand gegen die Marktmacht und den gesellschaftlichen Einfluss der grossen Digitalunternehmen wächst. Rufe nach einer Zähmung oder gar Zerschlagung der grossen Digitalunternehmen werden in Europa und den USA immer lauter. Nach jahrelanger Untätigkeit hat etwa jüngst vor allem die EU ihre Regulierungsbemühungen intensiviert. Diese zielen dabei sowohl auf eine gerechte Besteuerung der grossen Digitalunternehmen bzw. deren Gewinne, als auch auf eine kartellrechtliche Wiederherstellung freier, neutraler Märkte.
So möchte der europäische Gesetzgeber endlich eine spezielle Verordnung für die Plattformökonomie auf den Weg bringen. Mitte Dezember stellte die EU-Kommission dazu das Digital Service Package vor, bestehend aus dem Digital Service Act für Haftungsfragen von digitalen Vermittlungsdiensten sowie dem Digital Markets Act mit neuen Wettbewerbsregeln für besonders grosse Gatekeeper-Plattformen. Insbesondere Letzterer könnte ein Gamechanger für die Digitalwirtschaft werden und erstmals einen effektiven Schutz vor Plattform-Missbrauch ermöglichen.
Mit dem Digital Service Act sollen einheitliche Regeln für den Umgang mit illegalen Inhalten in der Plattformökonomie vorgegeben werden. Die hier vorgeschlagenen Regeln könnten nachholen, was lange Zeit versäumt wurde. Erstmals wird eine unabhängige Kontrolle der Diskursregeln auf Social-Media-Plattformen gesetzlich verankert. Auch die Pflicht für Plattformen, ihre Verwendung von Nutzerdaten bzw. die Funktionsweise ihrer Algorithmen transparent und personalisierbar zu machen, ist eine langjährige Forderung der Zivilgesellschaft, die möglichst breit ausgelegt werden sollte.
Der Digital Markets Act geht noch einen Schritt weiter und räumt veraltete Wettbewerbsregeln aus dem Weg, die eine effektive Bekämpfung von Plattform-Macht bisher verhinderten. Hürden für staatliche Markteingriffe, wie die obligatorische Marktmachtfeststellung und Marktabgrenzung, werden aufgeweicht und durch eine „Ex-Ante-Regulierung“ ergänzt, auf deren Grundlage die EU-Kommission zukünftig schneller und effektiver Missbrauch von Gatekeeper-Plattformen verhindern soll – selbst dann schon, wenn noch kein Monopol im klassischen Sinne vorliegt. So umfasst das Herzstück des Digital Markets Act eine «schwarze Liste» mit verbotenen Praktiken, die zukünftig direkt bestraft werden können. Die vier wichtigsten Punkte des Digital Markets Act sind:
Erstens das Verbot von Selbstbevorzugung: Grosse Digitalunternehmen dürfen auf ihren Online-Marktplätzen oder Hardwaresystemen keine eigenen Angebote bevorzugen oder an exponierter Stelle anzeigen.
Zweitens das Verbot von Vertikalbeschränkung: Gewerbliche Plattformnutzer erhalten das Recht, ihre Dienstleistungen oder Produkte auch auf anderen Plattformen und zu anderen Preisen oder Bedingungen anzubieten. Aktuell versuchen einige Plattformanbieter insbesondere in der Hotelbranche, ihre Geschäftskunden durch sogenannte Best-Preis-Klauseln und Exklusivverträge an die eigene Plattform zu binden.
Drittens das Verbot von Datenmissbrauch: Gatekeeper dürfen die Daten ihrer gewerblichen Nutzer nicht mehr für eigene Zwecke nutzen. Damit soll beispielsweise verhindert werden, dass Amazon auf Basis der Verkaufszahlen seiner Geschäftskunden besonders profitable Produkte identifiziert und diese zu günstigeren Preisen selbst vertreibt.
Schliesslich viertens das Verbot von Lock-In-Mechanismen – grosse Plattformanbieter dürfen ihre Nutzer:innen nicht im eigenen digitalen Ökosystem einsperren und daran hindern, zu anderen Diensten zu wechseln.
Die im Digital Markets Act vorgeschlagenen Regeln können die ausufernde Marktmacht von Gatekeeper-Plattformen wirksam einschränken. Inhaltlich bleiben aber viele Leerstellen: Trotz der staatlichen Markteingriffe verfolgt der Digital Markets Act letztlich einen marktliberalen Ansatz, insofern er «neutrale» Märkte schaffen und den Missbrauch von Plattformunternehmen einschränken soll. Dabei ist freilich höchst zweifelhaft, dass Onlinemärkte im Privatbesitz überhaupt neutral sein können, solange Plattformunternehmen weiterhin zugleich Marktanbieter und Marktteilnehmer, Konkurrent und Schiedsrichter sein können.
Und auch in Bezug auf die Frage der Datenteilungspflicht bleibt die Kommission letztlich hinter den Erwartungen zurück. Während die Open-Data-Pflicht für öffentliche Verwaltungen und Unternehmen mit dem im November veröffentlichen Entwurf des Data-Governance-Acts noch ausgeweitet wird, dürfen sich private Grosskonzerne weiter exklusiv den Wert der Daten aneignen. Ebenso fehlt die vielfach geforderte plattformübergreifende Interoperabilität über offene Kommunikationsprotokolle. Mit solchen offenen Datenschnittstellen könnten beispielsweise Social-Media-Nutzer:innen mit Freunden über Plattformgrenzen hinweg kommunizieren oder Onlinekäufer Produkte auf Amazon erwerben, ohne dort ein eigenes Konto anlegen zu müssen.
Die Zukunft des digitalen Kapitalismus in Europa wird sich auch an den politischen Konflikten, die in den nächsten Jahren rund um das Digital Service Package entstehen werden, entscheiden. Die Schweiz spielt bei diesen so wichtigen, suprastaatlichen Vorstössen kaum eine Rolle: Die Schweiz kennt weder Transparenzvorschriften für politische Werbung, Gesetze gegen ausländische Einmischung in Wahlen und Abstimmungen noch strenge Datenschutzbestimmungen oder Fake-News-Gesetze.
Literatur: EU Digital markets act | EU Digital services act | FEPS: Governing online gatekeepers | FEPS: A progressive approach to digital tech | Piétron, Dominik und Staab, Philipp: EU gegen Big Tech | Taxing big tech
Aktuelle Regulierungsansätze sind überwiegend aus einer wettbewerbsrechtlichen Perspektive konzipiert. Es geht vor allem darum, die Marktmacht der Plattformen zu begrenzen und einen funktionierenden Wettbewerb zu sichern. Doch Plattformmacht ist mehr als ein Wettbewerbsproblem: Grosse digitale Plattformen sind zu gesellschaftlich unverzichtbaren digitalen Infrastrukturen geworden. Sie dringen in immer mehr Lebensbereiche vor, in denen es um gesellschaftliche Teilhabe, Demokratie und die Grundversorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Leistungen geht. Eine marktdominante Internetsuchmaschine kann etwa den Zugang von Menschen zum weltweiten Wissen kontrollieren und ist für die Meinungs- und Willensbildung in modernen Demokratien unverzichtbar geworden. Unabdingbar für die demokratische Teilhabe von Menschen ist auch der Zugang zu dominanten sozialen Medienplattformen. Handelsplattformen entwickeln sich immer mehr zu zentralen Infrastrukturen des Konsums und der Versorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Gütern.
Grosse digitale Plattformen gehören mit ihren Dienstleistungen damit zunehmend zu einer «digitalen Grundversorgung» und greifen immer mehr in Bereiche des klassischen Service public aus. Eine wettbewerbspolitische Diskussion um digitale Plattformen reicht daher nicht aus. Dies zeigt auch ein Blick in die Geschichte der Medienrevolutionen des 20. Jahrhunderts (Radio/TV): Der Umgang mit neuen Medien hat sich nie nur in der Regulierung (Gesetze/Steuern) erschöpft. Vielmehr machten neue Medien auch Investitionen in eine öffentliche Infrastruktur (etwa die Schaffung von SRF/RTS als öffentliches Fernsehen und Radio in der Schweiz) erforderlich.
Der Aufstieg der Digitalkonzerne erfordert ein grundlegend neues Nachdenken über digitale Infrastruktur als öffentliches Gut: Sei durch die Schaffung von öffentlichen Streaming-Diensten, Suchmaschinen, öffentlichen Gesundheits-, Kommunikations-, Karten- und Mobilitätsapplikationen, sei es durch eine stärkere Verpflichtung der Konzerne auf eine Gemeinwohlorientierung. Die digital vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen müssen so dekommodifiziert werden, dass diese Infrastruktur dazu genutzt werden kann, solidarische und egalitäre Beziehungen zu führen und diese Werte zu verbreiten. Wie können faire Zugänge zu und die Teilhabe aller Menschen an den neuen Basisinfrastrukturen der digitalen Gesellschaft gesichert werden? Welche konkreten ausserwettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen sind Plattformen aufzuerlegen? Welche Regulierungsansätze können der Infrastrukturmacht der Plattformen gerecht werden? Wie lassen sich die entstehenden Privatmarkte in den Dienst der demokratischen Öffentlichkeit stellen, die Machtkonzentration des digitalen Kapitalismus als Ressource für die Gestaltung einer sozial-ökologischen Zukunft nutzen? Ansätze eines solchen alternativen sozialdemokratischen Infrastruktur-Projekts sind zahlriech. Wir haben eine kleine Auswahl dieser Projekte – zum Umgang mit Big Data, zum Plattform-Kommunalismus, zur Wirtschaftsplanung, zu öffentlichen Mobilitätsplattformen oder zur demokratischen Smart City – zusammengetragen.
Literatur: Bria, Francesca: Rethinking the Smart City | Busch, Christoph: Regulierung digitaler Plattformen als Infrastrukturen der Daseinsvorsorge | Fichter, Adrienne: Smartphone-Demokratie | Piétron, Dominik: Plattform-Kommunalismus | Ruhaak, Anouk: Öffentliche Mobilitätsplattformen | Schaupp, Simon: Die Steuerungswende | Saros, Daniel: Information Technology and Socialist Construction