Liebe Genossinnen und Genossen

Am Parteitag vom 3./4. Dezember 2016 in Thun haben wir nach mehreren Wochen intensiver medialer Berichterstattung und nach einer reichen und ausführlichen Debatte am Parteitag selbst mit deutlichem Mehr entschieden, den Weg weiterzugehen, den wir mit unserem Parteiprogramm von 2010 vorgezeichnet haben. Unsere Vision ist und bleibt diejenige einer sozialen und ökologischen Wirtschaftsdemokratie.

Es ist richtig, dass wir uns so deutlich für diesen Weg ausgesprochen haben. Denn reine „Pflästerlipolitik“ reicht nicht aus – das zeigt ein realistischer Blick auf die Welt nur allzu gut. Wenn, wie heute, Profitstreben und Gewinnmaximierung die Eckpfeiler unserer Wirtschaftsweise sind, dann schafft das riesige Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Probleme. Zum Beispiel Ungleichheit. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich seit Jahren. Auch in der Schweiz. Die Reichen werden reicher – vor allem durch den Bezug leistungsloser Einkommen wie Erbschaften, steuerfreien Kapitalgewinnen oder überrissener Boni. Demgegenüber gerät der Mittelstand zunehmend unter Druck und die Lage der Armen wird immer prekärer. Mittlerweile reichen gewisse Arbeitseinkommen nicht einmal mehr, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn es einen Klassenkampf gibt, dann wird der von oben geführt. Zweites Beispiel Klimawandel. Der Zwang zur Rendite und Verwertung führt nicht nur zu sozialen Verwerfungen und Konflikten, er treibt gleichzeitig auch das klimaschädliche Produktions- und Konsumverhalten an, das ausgedörrte und unfruchtbar gewordene Landstriche zur Folge hat und Tausende, ja Millionen von Menschen in die Flucht treibt.

Mit dem vorliegenden Positionspapier eröffnen wir ein neues wirtschaftspolitisches Aktionsfeld für die SP. Das Papier fokussiert bewusst auf Bereiche, die in den letzten Jahren eher vernachlässigt blieben, die für die Zukunft sozialdemokratischer Politik aber wichtig sind. Wir setzen uns auf künftig für faire Löhne, gute Sozialwerke, steuerliche Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und internationale Regulierungen ein. Doch damit ist es nicht getan. Wir müssen hier in der Schweiz wirtschaftliche Strukturen und Unternehmen fördern, die sich nicht in erster Linie an der Profitlogik orientieren. Es ist eines der Ziele des Papiers, die Art und Weise des Wirtschaftens nicht länger als eine Blackbox zu behandeln. Wirtschaftsdemokratie heisst nicht nur Regulierung durch die Politik auf der wirtschaftlichen Makroebene, es geht vor allem auch darum, wie Unternehmen funktionieren, wie sie aufgebaut sind, wer nach welchen Zielen entscheidet. Eine demokratische, solidarische und ökologische Wirtschaft ist eine Wirtschaft in der Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und in der die Betroffenen, also insbesondere auch die Mitarbeitenden, mitbestimmen.

„Im Kapitalismus über ihn hinaus“ – das ist, was heute vielerorts bereits passiert und was wir stärken wollen. Ich begegne immer wieder Menschen, die Initiativen starten, gemeinschaftliche Projekte lancieren, oder ich lerne Unternehmerinnen und Unternehmer kennen, die sich der Gemeinwohlökonomie und der Économie Sociale et Solidaire verschrieben haben. Vielfach machen sie keine grosse Sache daraus; das geschieht eher im Kleinen und Stillen. Regionale Körperschaften, die erneuerbare Energien produzieren und verkaufen. Vereine, die auf Basis der Vertragslandwirtschaft Menschen in der Stadt mit biologischen und saisonalen Produkten versorgen. Eine Schreinerei, die ihren Mitarbeitenden umfassende Mitwirkungsrechte zugesteht. Vielfältige Auto- und Velo-Sharing-Projekte, die ihren Beitrag zu umweltfreundlicher Mobilität leisten. Aber auch grössere Unternehmen in der Raum- und Verkehrsplanung oder im Medienbereich, die sich bewusst demokratisch organisiert haben. Und nicht zu vergessen unser Service public, der in seiner Logik einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft entspricht, oder unsere urschweizerische Tradition der Genossenschaften. Es geht also um ganz unterschiedliche Projekte und Unternehmen, die eines gemeinsam haben. Sie widersetzen sich den Regeln der kapitalistischen Wirtschaft, die uns immer wieder als einzig mögliche Wirtschaft verkauft wird. Sie orientieren sich an Werten wie Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität und Nachhaltigkeit und nicht am Prinzip der Gewinnmaximierung. Solche Entwicklungen sind nicht neu, aber sie werden immer wichtiger. In der Schweiz, in Europa, weltweit. Wir werden dazu beitragen, diese Wirtschaftsweisen zu fördern, damit ihnen der Durchbruch gelingt und sie zum Normalfall werden.

Das vorliegende Positionspapier deckt ganz bewusst nicht alle wirtschaftspolitisch relevanten Themen ab. Die internationale Dimension, z.B. der Umgang mit Freihandelsverträgen, wird im Papier nicht ausführlich behandelt und auch die Geld-, Arbeitsmarkt-, Finanz- oder Steuerpolitik stehen nicht im Vordergrund. Diese Aspekte werden, wie auch der Megatrend der Digitalisierung, im Rahmen der Überarbeitung des umfassenden Wirtschaftskonzepts von 2006 in angemessener Weise berücksichtigt. Wir werden das Projekt 2017 in Angriff nehmen. Hinzu kommt, dass wir unsere Ablehnung von Freihandelsverträgen wie TiSA, TTIP oder CETA an unserer Delegiertenversammlung vom April 2015 mit der Verabschiedung einer entsprechenden Resolution zum Ausdruck gebracht haben. Zur Steuer- oder Finanzmarktpolitik liegen Positionspapiere aus den Jahren 2014 und 2009 vor.

Dass die Idee der Wirtschaftsdemokratie topaktuell ist, zeigt sich in Bezug auf die Digitalisierung. Mehr Demokratie ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Digitalisierung zu einer wirklichen Chance für die Menschen wird. Die Tatsache, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt heute für viel zu viele Personen mit Unsicherheit, verschlechterten Arbeitsbedingungen und Angst vor Arbeitslosigkeit verbunden ist, hat ganz wesentlich mit den Rahmenbedingungen zu tun, unter denen sie stattfindet. Das befreiende, ja emanzipatorische Potenzial der Digitalisierung wird durch das kurzfristige und kurzsichtige Renditedenken unterdrückt. Den Herausforderungen der Digitalisierung ist nicht einfach mit Weiterbildungsoffensiven beizukommen. Vielmehr geht es um Macht- und Eigentumsverhältnisse, darum, wer die Digitalisierung gestalten kann, und um die gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne. Dieses Wissen leitet die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik seit jeher. Und das vorliegende Papier fordert in diesem Sinne mehr Mitbestimmung, Gewinnbeteiligungen, Arbeitszeitverkürzungen und eine Stärkung des gemeinschaftlichen Eigentums im Internetbereich („Digitale Commons“).

Wirtschaftsdemokratie ist keine Revolution und kein Masterplan. Sie besteht aus vielen kleinen und grossen, kreativen und intelligenten Schritten. Die Richtung ist aber klar vorgegeben. Mit mehr Demokratie wollen wir die Wirtschaft so umbauen, dass sie sich am Gemeinwohl orientiert und den Menschen ins Zentrum stellt. Unser Ziel ist eine Wirtschaft, die gesellschaftliche Probleme löst statt sie zu schaffen. Eine Wirtschaft, die zu mehr gesellschaftlicher Solidarität, zu Lebensqualität und sozialer Freiheit beiträgt. Kurz: eine Wirtschaft für alle statt für wenige.

Mit der Verabschiedung des Positionspapiers ist die Arbeit nicht getan, im Gegenteil. Jetzt folgt mit dem Aktionsplan, der 2017 einer Delegiertenversammlung vorgelegt werden wird, der nächste Konkretisierungsschritt: Interne Bildung, Kampagnen, politische Vorstösse, mittelfristig vielleicht auch ein Initiative. Die SP bleibt am Thema dran und setzt sich zusammen mit ihren Partnerorganisationen auf allen Ebenen für eine demokratische, solidarische und ökologische Wirtschaft ein!

 

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Christian Levrat

Positionspapier Wirtschaftsdemokratie